- 16.03.2023
- Weser Kurier
- Laura Cecere
- Fabian Sommer/dpa
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„Verunsicherung führt immer zu einer Störung des Gleichgewichts“, sagt Johann Böhmann, Leiter des Delmenhorster Instituts für Gesundheitsförderung. Eben auf diese Verunsicherung baut sein Institut mit dem EU-Projekt „Ja-Imple-Mental“. Es geht um Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen, um eingefahrene Strukturen zu hinterfragen. „Wir stören das vorhandene Gleichgewicht, indem wir zu den bereits vorhandenen Institutionen hingehen und Fragen stellen, zum Beispiel, wie es zurzeit läuft“, so Böhmann. Die Bereitschaft etwas zu ändern sei groß. Das sei schon ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
„Wir haben ein ganz tolles System in Deutschland, aber die Menschen, die Hilfe benötigen, kommen zu spät an diese Hilfesysteme“, sagt Böhmann. Es gebe sogenannte Komm-Strukturen, also Einrichtungen, wo darauf gewartet wird, dass die Hilfesuchenden von selbst kommen. Wenn ein Kind zum Kinderarzt gehe, dann sei es in der Regel gewaschen und gut gekleidet. Wie es jedoch im häuslichen Umfeld aussieht, wisse man nicht. „Das System ist für die Gruppe von Menschen, über die wir jetzt reden, nicht geeignet“, so Böhmann. Es müsse daher eine Systemkorrektur stattfinden. Der Schritt davor bedeute, dass Aufmerksamkeit geschaffen werde.
Aufklärung und Austausch
„Wir haben uns für die Stadt Delmenhorst vorgestellt, in Kindergärten, Schulen und Krippen etwas zu bewegen“, sagt Linda Dervishaj, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Gesundheitsförderung. Sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen sollten eine gewisse Aufklärung erfahren und sich über das Thema austauschen. Aufklärung solle jedoch nicht als eine Art Wissensvermittlung stattfinden, sondern vielmehr durch Workshops, ergänzt Böhmann. Jeder habe im direkten Umfeld jemanden, der ebenfalls betroffen ist. Deshalb möchte er die Sensibilität, die bereits vorhanden ist, einfangen und fördern, sodass es beispielsweise eben nicht in Mobbing ende.
„Glück und Zufriedenheit sollte ein Schulfach werden“, findet Böhmann. Das Wohlbefinden der nächsten Generation solle mehr wertgeschätzt sein. Dass in den Schulen die Ressourcen dafür nicht da sind, sei katastrophal. „Ich habe die Traumvorstellung, dass man einen Mental-Health-Day in Schulen einführt und an diesem Tag das Thema Wohlbefinden behandelt“, ergänzt Dervishaj. Beim Mental-Health-Day handelt es sich um einen jeweils am 10. Oktober von der World Federation for Mental Health und der Weltgesundheitsorganisation ausgerufenen Welttag für psychische Gesundheit. Das werde unterstützt, man werde diesen Welttag in die Schulen nach Delmenhorst bringen, stimmt Böhmann zu. Wenn man solchen Tagen mal ein paar Jahre lang Aufmerksamkeit schenke, gehe das auch in die Köpfe rein, so Dervishaj.
„Das Thema ist es wert, dass es mehr Aufmerksamkeit bekommt, weil es diese Aufmerksamkeit nötig hat“, sagt Böhmann. Die Gesellschaft verändere sich durch Singularitäten und alle anderen Dingen, die Menschen psychisch belasten können. Durch die Auflösung von sozialen Strukturen werde die Psyche der Menschen immer mehr beansprucht. Da helfe auch keine Individualtherapie, sondern dagegen müsse man präventiv angehen.
Frühzeitige Hilfe
„Es ist wichtig, die Betroffenen frühzeitig zu erreichen“, sagt Dervishaj. Das sei nicht einfach. Aber man könne sich überlegen, wer diese Menschen frühzeitig erreichen kann. Diese könnten beispielsweise aus dem Bereich von Sozialarbeitern kommen. „Es gibt so viele, die eine Entlastung sein können“: Es muss nicht immer der Therapeut sein. „Auch Freizeitaktivitäten für Kinder können eine Unterstützung darstellen.“ Es sei jedoch auch wichtig, eine Überbrückung für die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz zu schaffen. Es sei zu beobachten, was diese Menschen in der Zwischenzeit machen können, damit sie nicht völlig allein gelassen werden.
„Wir möchten deshalb auch kollektive Varianten statt Einzeltherapie“, sagt Böhmann. Wenn eine Einzeltherapie nötig ist, dann ist es seiner Meinung nach schon zu spät. Wenn solche gemeinsamen Aktivitäten auch in Schulen stattfinden würden, dann schlage dies auch auf das Elternhaus über. Wenn sich daraus eine kollektive Wahrnehmung in Delmenhorst entwickele und zum Thema wwerde, „dass man depressiv sein darf, dann ist schon viel geholfen“, so Böhmann. Es werde zwar weiterhin Menschen geben, die Mobbing betreiben, aber nicht in dem Maße wie heute.